Plattdeutsch lernen - warum?
Als vor über 40 Jahren der Englischunterricht für alle Schülerinnen und Schüler als verbindlich eingeführt wurde, gab es noch viele Stimmen dagegen. Heute wird in Niedersachsen schon in allen Grundschulen in die englische Sprache eingeführt und an den Kindergärten werden Kurse angeboten. Es ist einfach notwendig geworden, sich mit Menschen aus anderen Ländern verständigen zu können. Wenn man möglichst früh eine zweite Sprache erlernt, fällt es bedeutend leichter als später. Menschen, die als Erwachsene eine neue Sprache erlernen mussten, verfügen oft über einen großen Wortschatz, den sie sich angeeignet haben, aber es fällt auf, dass ihnen trotzdem häufig grammatische Fehler unterlaufen, da sie die Struktur der erlernten Sprache nicht perfekt verinnerlicht haben.
Hirnforscher und Sprachwissenschaftler haben herausgefunden, dass das frühkindliche Gehirn offenbar auf das Erlernen mehrerer Sprachen ausgerichtet ist. Wenn der Vater und die Mutter oder eine andere enge Bezugsperson mit dem kleinen Kind in jeweils einer anderen Sprache kommuniziert, dann nimmt das Kind jede Sprache wie ein Schwamm auf und kann später - je nach Gesprächspartner - von einer Sprache in die andere wechseln, ohne sich dabei anzustrengen. Diese Fähigkeit geht verloren, wenn in der Phase des Spracherwerbs nur eine Sprache gesprochen wurde. Es werden weniger Verknüpfungen im Gehirn gebildet, die es erlauben, die Welt auf unterschiedliche Weise zu erfassen und Vergleiche herzustellen. Frühe Mehrsprachigkeit hat also nicht nur positive Auswirkungen auf die eigene Sprache und das Erlernen weiterer Sorachen, sondern vor allem auf das Denken und die allgemeine Weltsicht.
Was hat das alles mit Plattdeutsch zu tun? Frühe Mehrsprachigkeit macht nur dann Sinn, wenn eine zweite Sprache richtig gelernt wird. Ein negatives Beispiel sind die Migrantenkinder, deren Eltern versucht haben, ihnen Deutsche beizubringen, obwohl sie es selbst nur mangelhaft beherrschen. Sie haben dann weder die Sprache ihrer Eltern noch die zweite Sprache richtig gelernt, und das drückt sich später in schwachen schulischen Leistungen aus. Ein wichtiger Grundsatz lautet deshalb: "Eine Person - eine Sprache". Die Vorteile früher Mehrsprachigkeit können nur dann voll ausgeschöpft werden, wenn der Sprechende, mit dem das Kind Kontakt hat, in der anderen Sprache zuhause ist - und das ist in unserer Region eben die plattdeutsche Sprache. Wer sie beherrscht, besitzt damit einen Schatz, der unbedingt weitergegeben werden muss! Wer jemanden kennt, der Plattdeutsch kann, der sollte diese wertvolle Ressource nutzen!
Es ist schade, dass vielen Menschen nicht wissen, wie schwerwiegend sich der Verlust einer Sprache auswirkt, die über Jahrhunderte gesprochen wurde. Eine bestimmte Sichtweise auf die Welt geht damit verloren, und eine später in der Schule erlernte Fremdsprache bleibt lebenslang für die meisten Menschen ein Behelf, mit dem sie nur die trivialen Probelem lösen können.
Die Alternative "Englisch oder Plattdeutsch" darf es nicht geben. Die Fähigkeiten des Gehirns werden im Laufe eines Lebens nur zu einem geringen Teil ausgenutzt - das weiß man heute. Deshalb ist es überhaupt keine Überforderung, sondern eigentlich schon eine Notwendigkeit, die Forderung aufzustellen: "Erst Hochdeutsch und Plattdeutsch - dann Englisch!"
Herbert Timm